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»Nacht als gestalterisches Experiment«
Riewert Ehrich
Nacht - das ist, vordergründig betrachtet,
vor allem das Nichtvorhandensein von Licht, jenem Licht, das der Welt
ihre Farbe verleiht und von dem wiederum die Malerei seit ihren Anfängen
lebt. Die Nacht - und damit Farblosigkeit - mit den ureigenen malerischen
Mitteln abzubilden, erscheint als Widerspruch in sich, ausgenommen die
künstlich erhellte Nacht. Gerade deshalb reizt vielleicht eine solche
Quadratur des Zirkels einen experimentierfreudigen Künstler wie Sprute,
der von früh an und beharrlich Gegensätzliches, sowohl inhaltlich, formalkompositorisch
als auch technisch, in seiner Bildwelt vereint, um Grenzbereiche auszuloten.
Seit dem ersten großen "Nacht-Bild" (1983), das motivisch wie farblich
noch kontrastierend von seinen anderen Arbeiten abstach, misst der Künstler
diesem Thema wachsende Bedeutung bei und erweitert es um das Motiv des
Wanderers. Nicht beherrschend, eher sich dem Betrachter entziehend, wird
die Figur dieses Nächtlichen in die Kompositionen eingefügt; seine figurale
und farbliche Gestaltung verschmelzen vielmehr mit derjenigen der Nachtschemenhaft,
beinahe gänzlich von dieser absorbiert. Es bedarf der intensiven Kontemplation,
um seiner gewahr zu werden: In dem Maße, wie der Wanderer die Nacht durchdringt,
wird er zugleich von ihr durchdrungen. Dieser vexierbildähnliche Effekt
kennzeichnet bereits Sprutes taghelle "Chamäleon- und Schwanenbilder"
und verdeutlicht, dass die thematische Dimension von der des optisch-visuellen
Experiments nicht zu trennen ist. Antinomien heben sich auf, so auch die
Farbgebung; man möchte meinen, mit der Farbkomposition sei die völlige
Relativierung des Tag-Nacht-Gegensatzes intendiert: Angesichts der das
dominante Nachtblau durchbrechenden hellen, zum Teil kräftigen Grundfarben
scheint es, als wolle der Künstler der Nachtwelt die Farben des Tages
zurückgeben. So fügt sich zu einer Synthese zusammen, was sich in anderen
Arbeiten Sprutes - man betrachte z. B. Bilder wie "Bei Tag und Nacht/drinnen
und draußen" von 1986 - noch in scharfem Kontrast in zwei diagonal getrennten
Bildhälften gegenübersteht.
>Nacht als symbolischer Raum<
Bekanntlich taucht die Nacht als Motiv in der
Malerei und Dichtung der Romantik und des Symbolismus besonders häufig
auf. Der Mensch - in der Gestalt des Wanderers - steht bei Sprute jedoch
nicht, wie beispielsweise in den Bildern eines Caspar David Friedrich,
scharf konturiert und betrachtend gegenüber, darin das Unbegreifbare,
das Göttliche schauend. Ebensowenig tritt die Nacht in der geheimnisvollen
Figur allegorisch in Erscheinung wie bei zahlreichen Symbolisten, man
denke etwa an die "Nocturne" von Levy-Dhurmer. Gleichwohl entbehren Sprutes
"Nacht"-Bilder einer gewissen Symbolik nicht. Der Künstler ist sich der
mythischen und symbolischen Dimension seines Malgegenstandes voll bewusst,
worauf von anderer Seite bereits hingewiesen wurde (vgl. Katalog: B. Sprute
"Nacht und Tag. Malerei/Zeichnung", Freiburg/B., 1987). Ferner weiß er
um die symbolische Affinität von Nacht und Unbewusstem, wie sie C. G.
Jung postuliert. Deshalb kommt man der Aussage der Bilder näher, wenn
man auch diese als "Seelenlandschaften" betrachtet, als welche Stanislaw
Prybyszewski damals seine Nachtbilder seines Freundes Edvard Munch bezeichnet
hat, wobei Sprute allerdings die Gegenständlichkeit weitgehend aufgehoben
hat. Die damit erreichte Komplexität versperrt den rationalen Zugriff
und macht die Bilder allein assoziativ verstehbar. Durch die Aufhebung
der Grenze zwischen Subjekt (Wanderer) und Objekt (Nachtwelt), empirischer
und imaginierter Realität, konkreten und abstrakten Bildelementen, Innen
und Außen sowohl in räumlicher als auch psychologischer Hinsicht verlieren
Sprutes "Nacht"-Bilder weitgehend die mimetische Qualität und konstituieren
eine autonome Kunstwelt, in der Mensch und Umwelt, Geist und Materie in
einem amorphen Form- und Farbgemisch (ur- oder endzeitlich?) miteinander
verschmelzen.
Dr. Riewert Ehrich,
Pataphysiker, Freiburg 1990
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